Künstliche Intelligenz: Technik von heute löst die Probleme von morgen

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Noch mehr Varianten im Produktsortiment, noch mehr Flexibilität in der Produktion, aber bitte mit der gleichen Effizienz wie in der Massenfertigung – moderne Maschinen müssen immer höheren Anforderungen gerecht werden. Neben klassischer Automatisierungstechnik kommt deshalb immer öfter Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Doch was kann diese Technologie leisten, und wie verändert sie dadurch den Maschinenbau? Antworten gibt Thomas Linde, Experte für KI bei KEBA.
Was ist der Unterschied zwischen klassischer Automatisierung und künstlicher Intelligenz?

Linde: Einer der augenfälligsten Unterscheidungen liegt in der Programmierung. Die Automatisierung verwendet „hartcodierte“ Programme, also einen festgelegten Code. Künstliche Intelligenz dagegen wird nicht programmiert, sondern trainiert. Grundlage sind Algorithmen und neuronale Netze, die man mit historischen Daten füttert und so auf eine Aufgabe optimiert.

Inwiefern ergibt sich daraus ein Vorteil für KI-basierte Lösungen?

Linde: Bei hartcodierten Systemen muss jede Änderung der Umgebung durch eine Anpassung der Software nachvollzogen werden. Angesichts der immer kürzeren Zyklen, in denen Produkte und Produktion angepasst werden, bedeutet das auf Dauer einen hohen manuellen Aufwand. KI-Lösungen können dagegen Veränderungen adaptieren –indem sie aus den anfallenden Daten lernen. Weniger Anpassungsaufwand, weniger Unterbrechungen und eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse, mit positiver Wirkung für die Qualität und der Effizienz der Anlage, gehören zu den wichtigsten Vorteilen von KI-basierenden Lösungen.

Aber kommt die „kontinuierliche Verbesserung“ durch KI nicht auch irgendwann an ein Ende?

Linde: Nur wenn sich nichts ändern würde. Aber die Zeiten, in denen 20, 30 Jahre lang unverändert gefertigt werden konnte, sind in vielen Branchen vorbei. Es gibt immer wieder veränderte Produktionsbedingungen – die KI kann sich diesen anpassen, eine reine Automatisierungslösung dagegen muss ausgetauscht werden.

Im Maschinenbau galt immer die Maxime „definierter Input, definierter Output“, um Safety und Security zu gewährleisten. Wie soll das bei einem selbstlernenden System funktionieren?

Linde: Es wird auf der Maschine immer klassische logische Abläufe geben, die für Safety und Security relevant sind. Die müssen auch weiterhin hochstabil und hochverfügbar funktionieren. Daneben aber verschieben sich Technologie- und Feature-Themen, denn die Maschinen benötigen zusätzliche Fähigkeiten. Eine datenbasierte KI zur Anomalie-Erkennung ist beispielsweise eher in der Lage, eine konstante Produktqualität zu sichern als eine hart programmierte Lösung. Maschinenbauer und Automatisierer stehen nun vor der Herausforderung, diese beiden unterschiedlichen Wege zu erkennen und Ansätze zu suchen, sie clever miteinander zu verbinden.

Was ist die wichtigste Veränderung auf dem Weg hin zu mehr KI im Maschinenbau – ein Bewusstseinswandel?

Linde: Ja, das auch, entscheidend ist aber der Aufbau eigener Kompetenzen. Denn die nötigen Skills sind hier nicht unbedingt vorhanden. Schließlich handelt es sich um einen Paradigmenwechsel. Es fehlen ausgebildete Fachkräfte ebenso wie Erfahrungen mit der innovativen Technologie. Wir sehen zwar, dass sich die beiden unterschiedlichen Welten – Automatisierung und KI – langsam vermischen. Sie harmonieren bislang aber noch nicht richtig.

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Warum stoßen nicht KI-Experten in diese Lücke?

Linde: Das tun sie bereits, ebenso Anbieter von IoT-Lösungen. Sie haben oft einen Erfahrungsvorsprung bei der Digitalisierung von Prozessen. Auf der anderen Seite fehlt ihnen das tiefe Domänenwissen zu den Kundenprozessen – hier wiederum sind die Maschinenbauer und Automatisierer im Vorteil. Deshalb sind diese nun gefordert, möglichst schnell ihre KI-Kompetenzen zu erweitern und bessere KI-Lösungen zu entwickeln als die branchenfremde Konkurrenz.

Sehen Sie Unterschiede in den verschiedenen Industrie-Sektoren?

Linde: Vorreiter im Bereich der Steuerung sind Roboterhersteller, die KI einsetzen, um Bewegungsabläufe zu optimieren. Bei Maschinenbauern stehen dagegen Vorhersagesysteme für Predictive Maintenance sowie die Visualisierung, beispielsweise per Dashboards im Vordergrund. Andere Industriezweige sind eher noch ein wenig hinterher. Doch das könnte sich rächen – der KI-Markt ist bereits stark in Bewegung. Wer jetzt nicht auf den Zug springt, läuft Gefahr, abgehängt zu werden.

Lässt sich die Entwicklung von KI mit früheren Innovationssprüngen vergleichen?

Linde: Eher nicht. Vor allem haben wir jetzt ein Zusammentreffen gleich mehrerer Trends: einer stärkeren Digitalisierung und Vernetzung, einer extremen Ausweitung der Rechenkapazitäten und nun auch noch KI. Diese finden jetzt zusammen, sodass Dinge völlig neu gedacht und gemacht werden können. Damit ist der Grundstein gelegt für disruptive Sprünge in der Entwicklung.

Können Sie prognostizieren, wann diese Verwerfungen passieren?

Linde: Vorboten sind bereits erkennbar. So gibt es beispielsweise neue Player am Markt, die sensor-based Control-Lösungen entwickeln, also Steuerungen auf Basis von Sensoren wie Kameras in Kombination mit KI. Diese werden nicht mehr klassisch programmiert, sondern modelliert oder Aufgabenabläufe beschrieben und trainiert. Wenn diese Technologie auf den Markt kommen, haben die OEMs ein Problem, denn ihre Lösungen auf Basis klassischer Automatisierungstechnik sind dann nicht mehr ähnlich skalierbar und somit nicht wettbewerbsfähig. Das könnte man dann Disruption nennen.

Wären Standards und gemeinsame Plattformen, vielleicht getragen von Verbänden, eine geeignete Abwehrstrategie?

Linde: Es gibt zwar bereits Initiativen, die den Einsatz von KI im Maschinenbau und im Rahmen von Industrie 4.0 fördern, aber noch keine Standards. Aus unserer Sicht ist es tatsächlich noch zu früh für eine Standardisierung. Der Markt ist stark in Bewegung, und die Akteure haben derzeit noch alle Möglichkeiten, sich im KI-Markt zu positionieren, indem sie eigene Entwicklungen und Ideen vorantreiben.

Bewirken die großen Cloud-Anbieter mit ihren Tools und Plattformen nicht eine faktische Standardisierung?

Linde: Anbieter wie Amazon, Google, Microsoft, IBM und anderen können zwar viele Anwender verbuchen – aber es gibt nicht „DAS“ Werkzeug, das alle anderen überragt. Sie finden im Markt derzeit Dutzende unterschiedlicher Tools, die jeweils für unterschiedliche Anforderungen und Aufgaben geeignet sind. Darüber hinaus sind die Kosten der Cloud-Plattformen enorm.

Es kann also ökonomisch durchaus Sinn machen, eigene Lösungen zu entwickeln und sich über die Technologie zu differenzieren. Genau deshalb ist es so wichtig, schon heute in das Thema KI einzusteigen: Jetzt besteht noch die Chance, mit Eigenentwicklungen Marktanteile zu gewinnen – in einigen Jahren ist das sicher nicht mehr möglich.

Wie die Alternative lautet, hat Rene Fassbender vom Forschungsbeirat „KI für Industrie 4.0“ formuliert: „Die Unternehmen, die in Zukunft keinerlei KI-Lösungen einsetzen, werden ab einem bestimmten Zeitpunkt X nicht mehr wettbewerbsfähig sein können.“

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