Was sind die wesentlichen Änderungen?

Die neue Robotiknorm ISO 10218

  • Automatisierung
  • Robotik
  • News
Unsere KEBA-Robotik-Experten Markus Winter und Christian Leng verraten, was die lang erwartete Aktualisierung der Roboternorm ISO 10218 mit sich bringt, was die wichtigsten Änderungen sind und welche Maßnahmen jetzt getroffen werden können.

Mit Spannung wird die Aktualisierung der Robotiknorm ISO 10218 erwartet. Markus Winter (Produktmanagement Safety) und Christian Leng (Product Expert -Safety) vom Produktmanagement KEBA Industrial Automation erzählen uns im Interview, was auf die Maschinen- und Roboterhersteller mit der neuen Robotiknorm zukommt und warum eine Aktualisierung längst notwendig geworden ist:

Wer ist von der Norm betroffen?

Markus Winter: Die Norm gliedert sich auch wie ihr Vorgänger in zwei Teile, und zwar 10218-1 und 10218-2. Die ISO 10218-1 , also der erste Teil, behandelt den Roboter als unvollständige Maschine und betrifft vorwiegend die Hersteller von Industrierobotern und Cobots.

Der zweite Teil 10218-2 behandelt vollständige Maschinen und Anlagen mit integrierten Robotern. Sie betrifft jeden, der Industrieroboter in eine Gesamtlösung integriert, wie zum Beispiel Maschinenhersteller oder Systemintegratoren.

(v.l.) Christian Leng (Product Expert Safety) und Markus Winter (Produkt Management Safety)
(v.l.) Christian Leng (Product Expert Safety) und Markus Winter (Produkt Management Safety)

Warum war es nötig, die Norm zu aktualisieren? Was fehlte? Was ist nun besser / anders?

Christian Leng: Die ISO 10218-1 und ISO 10218-2 wurden 2012 publiziert. Ein Update folgte 2016 mit dem heute verfügbaren Teil der Cobot-Spezifikationen (ISO/TS 15066). Seitdem hat sich der Einsatz von Industrierobotern fast verdoppelt: Heute sind nahezu 3,5 Millionen im Einsatz. Ein Update und eine Anpassung waren also definitiv nötig und auch absehbar. Weitere Marktanforderungen hinsichtlich Cybersicherheit und kollaborierende Robotik sind in den letzten Jahren hinzugekommen.

Markus Winter: Aktuelle Bedrohungen und damit einhergehend Themen wie der EU-Cybersecurity-Act sowie auch die Haltung der US-Regierung bei kritischer Infrastruktur (z.B. Mobilfunk und Energieversorgung) zeigen Auswirkungen auf die 10218-1. Die Bedrohung einer Cybersecurity-Attacke schwingt ebenfalls bei mittleren wie kleineren Maschinen- wie Roboterherstellern mit – gerade wenn man den aktuellen Lebenszyklus vieler Robotiklösungen beobachtet / betrachtet. Mit Sicherheit werden wir in den nächsten Jahren noch viele Veränderungen am Markt erleben.

Was sind die wesentlichen Inhalte bzw. Änderungen, die auf die Roboter- bzw. Maschinenhersteller mit Prozess-Know-how zukommen?

Markus Winter: Neben vielen kleineren Anpassungen sind die folgenden wesentlichen Änderungen hervorzuheben:

  • Integration der ISO/TS 15066:2016 – vor allem in die ISO 10218-2 (Stichwort: kollaborierender Betrieb zwischen Mensch und Roboter)

  • Klassifizierung der Roboter in zwei Klassen in Bezug auf die funktionalen Sicherheitsanforderungen

  • Klärung der Anforderungen an die Funktionssicherheit

  • Cybersicherheit (Neu)

Welche Neuerung in der Norm ist Ihnen besonders positiv aufgefallen?

Christian Leng: Der Umgang mit Geschwindigkeiten in der manuellen Betriebsart mit reduzierter Geschwindigkeit (auch bekannt als Betriebsart manuell reduzierte Geschwindigkeit, T1 oder Teach) wurde deutlich präzisiert. So heißt es nun beispielsweise, dass die Geschwindigkeit von Robotern der Klasse II in der genannten Betriebsart sicher überwacht werden muss.

Markus Winter: Besonders begrüßen wir auch die Klarstellung der erforderlichen Sicherheitsfunktionen im neuen Anhang C. Darin finden alle Betroffenen eine exakte Auflistung sowie Beschreibung, welche Normen verpflichtend oder nur optional sind und wie diese aufgebaut sein müssen. Damit wird einfach Klarheit geschaffen.

Spannend finde ich auch die Aufweitung der minimalen Funktionalen Sicherheitsanforderungen:

Alte Revision

  • PLd / Kat3

Neue Revision

  • PLd / Kat3 oder

  • SIL2 / HFT=1 (20 Jahre) oder

  • SIL2 / PFHd < 4,43 *10^-7

Anmerkung der Redaktion: Die genannten Werte beziehen sich auf die Angabe zur Funktionssicherheitsleistung gemäß den Normen (DIN) EN ISO 13849-1 und (DIN) EN IEC 62061. Während die Funktionssicherheit bei der (DIN) EN ISO 13849-1 in unterschiedlichen Performance Leveln (PL) und Kategorien (Kat) angegeben wird, sind es bei der (DIN) EN IEC 62061 der Safety Integrity Level (SIL) und die Hardware-Fehlertoleranz (HFT). Bei dem PFHd Wert handelt es sich um die Angabe der Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Ausfalls je Stunde (Probability of a Dangerous Failure per Hour).

Warum ist die Ausweitung der minimalen Funktionalen Sicherheitsanforderungen wichtig?

Markus Winter: Die aktuelle Fassung bei der Funktionssicherheit fordert gemäß DIN ISO 13849-1 einen PLd in Architektur der Kategorie 3. In der neuen Fassung ist die Architektur der Kategorie 3 bei einem ausreichend niedrigen PFHd nicht mehr zwingend vorausgesetzt. Das führt zur Frage: „Wird es in Zukunft auch einkanalige Sicherheitslösungen in der Robotik geben?“

Christian Leng: Und dies wirft die weiterführende Frage auf: Gibt es in Zukunft auch in anderen Branchen einkanalige Lösungen? Denn ein zweiter Punkt ist, dass in Bereichen, in denen keine Typ-C-Norm verfügbar ist (z. B. ISO 10218-1/2 ist eine Typ-C-Norm), häufig auf branchenähnliche Normen zurückgegriffen wird.

Die sichere Überwachung der Geschwindigkeit war bisher ein oft diskutiertes Thema. Nun steht sie definitiv in der aktuell verfügbaren Verfassung. Welche Lösung hat KEBA Industrial Automation dazu?

Markus Winter: Die sichere Bewegungsüberwachung (Safe Motion) ist schon immer ein Kern-Know-how von KEBA, speziell wenn es darum geht, kartesische Geschwindigkeiten, Positionen und Orientierungen zu überwachen, wie es in der Robotik der Fall ist und das mit unterschiedlichen Gebertechnologien.

Betrifft die Norm auch Unternehmen außerhalb Europas?

Markus Winter: Es handelt sich dabei um Typ-C-Norm nach EN ISO 12100 und sie steht im Einklang mit den Mindestanforderungen einer harmonisierten Typ-C-Norm für Roboter in Industrieumgebungen. Auch andere Staaten können die Anforderungen der Norm in national relevante Normen übernehmen. Als drittgrößter Binnenmarkt ist die Europäische Union natürlich auch für viele Unternehmen außerhalb der EU interessant. Also auch wenn die Anforderungen der Norm nicht in nationale Normen übernommen wurden, besteht für viele Unternehmen dennoch die Motivation sie umzusetzen. Ansonsten würde man auf den Absatzmarkt in der EU vollkommen verzichten.

Christian Leng: Abgesehen davon werden ISO-Normen von vielen nicht EU-Mitgliedstaaten mitgestaltet, somit liegt es auch im Interesse der jeweilige Staaten diese Normen umzusetzen.

In welchem Zeitraum müssen die Bestimmungen umgesetzt werden?

Christian Leng: Zuerst wird in Europa die Harmonisierung von Normen im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gegeben. Dabei wird auch der Termin festgelegt, ab dem die Anwendung der Norm, und damit Konformität mit den Anforderungen, möglich ist. Da viele der Begriffe aus der neuer Maschinenverordnung abgeleitet sind, liegt die Vermutung nahe, dass die Norm zeitgleich mit der EU-Maschinenverordnung aktiv werden wird, also dem 20. Januar 2027.

Was sollten die, die es betrifft, jetzt schon in die Wege leiten?

Markus Winter: Gerade die Anforderungen an Funktionaler Sicherheit und vor allem Cybersecurity sind nicht zu unterschätzen. Entwicklungszeiträume von mehrere Jahren inklusive Zertifizierung durch eine akkreditierte Stelle sind nicht unüblich. Den Roboterherstellern und -integratoren ist empfohlen sich mit diesem Thema zu beschäftigen, sobald der FDIS (Final Draft International Standard) veröffentlicht ist.

Welche Ansätze/Lösungen werden allgemein auf dem Markt angeboten?

Christian Leng: Für mittlere und kleine Roboterlieferanten wird die Entwicklung einer eigenen Safety-Lösung bzw. die kontinuierliche Wartung hinsichtlich Cybersecurity nicht stemmbar sein. Ich denke, dass hier der Weg zu Dienstleistern und/oder Plattformlieferanten für viele unausweichlich werden wird. Die großen Roboterhersteller werden diese Fragen sicherlich selbst lösen können (oder müssen).

In welchen Bereichen bietet KEBA eine Lösung?

Markus Winter: Unser Portfolio an Funktionaler Sicherheitsbaugruppen und Features wächst stetig, und gerade hier haben wir auch unser Fokus auf Lösungen für die Robotik und in der Spritzgusstechnik. Darüber hinaus lösen wir mit unserer Automatisierungsplattform Kemro X viele Herausforderungen und Anliegen unserer Kunden bereits im Vorfeld, wie Cybersecurity, Industrial Grade Hardware, anpassbare Technologieoptionen & Lieferfähigkeit. Das ermöglicht ihnen, sich auf ihre Kernkompetenzen und Technologien zu konzentrieren.

Hintergrundinfo zum Gremium

Das technische Komitee (ISO/TC 299 - Robotics) der Internationalen Organisation für Normung (ISO) ist auf internationaler Ebene für die Normungsaktivitäten in der Robotik zuständig und beinhaltet zur Zeit zehn verschiedene Arbeitsgruppen. Die Arbeitsgruppe 3 (Working Group 3/WG 3 „Industrial safety“) ist für die Sicherheitsnormung von Industrierobotern zuständig und arbeitet unter anderem an den neuen Fassungen der ISO 10218-1/2. Hinsichtlich (ISO/TC 299 - Robotics) gibt es nationale Spiegelgremien in den teilnehmenden Ländern, wobei der Spiegelausschuss zur (ISO/TC 299) WG3 in Deutschland auf nationaler Ebene die Arbeitsgruppe NA 060-38-01-01 AK des DIN-Normenausschusses Maschinenbau (NAM) ist. Diese nationalen Arbeitskreise setzen sich aus Vertretern von Herstellern, Anwendern, Berufsgenossenschaften und anderen Interessensvertretern als Experten auf dem jeweiligen Gebiet zusammen.

Wählen Sie Ihre Sprache aus
Ihr Browser ist veraltet
Internet Explorer wird nicht mehr unterstützt. Bitte wechseln Sie zu einem aktuellen Browser, um keba.com im vollen Umfang nutzen zu können.

Edge

Chrome

Safari

Firefox

KEBA - Automation by innovation.