Pitch-System made in India: Lokale Windenergie, global gedacht
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- 10.12.2025
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Inhalt
Worum geht es beim Projekt “Pitch-System Made in India”?
Im Zentrum steht die Entwicklung eines skalierbaren Pitch-Systems für Windenergieanlagen mit dem Ziel, eine lokale Fertigung und Integration in Indien zu ermöglichen.
Unserem Kunden ist die Produktion in Indien dabei besonders wichtig, da der politische Kontext eine zentrale Rolle spielt: Die indische Regierung verfolgt neben der Klimaneutralität bis 2070 das Ziel, kritische Infrastrukturen wie Windenergiesysteme zunehmend unabhängig von ausländischen Komplettsystemen zu gestalten. Lieferprobleme, Supportdefizite und proprietäre Alttechnologien des bisherigen europäischen Zulieferers verstärken den Wunsch nach einem Systemwechsel.
Der Erstkontakt entstand auf der Windergy 2024, der Wind-Messe in Indien, die jedes Jahr in Chennai stattfindet. Unser Kunde suchte gezielt nach einem Anbieter für ein komplettes Pitch-System. KEBA überzeugte mit einem ganzheitlichen Ansatz, bestehend aus Hardware, Software und Engineering-Kompetenz.
Das Projekt "Made in India” zielt auf die Entwicklung und den prototypischen Aufbau eines modularen Pitch-Systems für Onshore-Windenergieanlagen, das sich auf Basis eines einheitlichen System-Blueprints lokal in Indien fertigen und skalieren lässt. Die Idee, die hinter dem Blueprint-Ansatz steht, ist die Auslegung einer standardisierten Referenzarchitektur für Pitch-Systeme, die flexible angepasst werden kann. Im Fokus des Kunden steht die Substitution eines bestehenden, komplett vorkonfektionierten Systems durch eine offene, integrative Plattformlösung, bei der die zentralen Antriebskomponenten – Pitch-Umrichter und -Motor, Energiespeichereinheit sowie vorkonfektioniertes Kabelsystem – von KEBA bezogen werden, während Schaltschrankfertigung, Integration und Aufbau lokal erfolgen.
Die Freigabephase beinhaltete die gemeinsame Inbetriebnahme des Referenzsystems in Deutschland und Indien sowie die „Basis Evaluation“ und „Design Evaluation“ [IECRE OD-501:2022 in Kombination mit IEC 61400-1:2019], sodass das System künftig in Indien in Serie produziert werden kann – mit KEBA als Technologiepartner für die Kernkomponenten und das Engineering-Know-how im Hintergrund.
Wie wurde aus einer ersten Anfrage ein konkretes Projekt?
Kurz nach dem Messekontakt folgten intensive Gespräche und im Anschluss übermittelte der Kunde ein detailliertes Lastenheft mit technischen und funktionalen Anforderungen. KEBA analysierte die Kundenanforderungen mit einem interdisziplinären Team bestehend aus Solution Management, Applikation, Engineering und Vertrieb – verteilt über die Standorte Unna, Linz und Pune. Ziel war es, eine Lösung zu erarbeiten, die funktional äquivalent oder überlegen zur bisherigen ist, dabei aber auf modernen Komponenten basiert und eine lokale Integration und Fertigung in Indien ermöglicht.
Die technische Antwort auf das Lastenheft erfolgte in Form eines Systemkonzepts auf Blueprint-Basis. In dem Konzept wurden alle kritischen Anforderungen adressiert – etwa zur Motorcharakteristik, zum Energiemanagement oder zur Kommunikationsschnittstelle. Über mehrere Iterationen hinweg wurde das Konzept mit dem Kunden abgestimmt, bevor gemeinsam die Umsetzung eines physischen Prototyps beschlossen wurde.
Der strukturierte Übergang von einer unverbindlichen Interessensbekundung zu einem konkret aufgesetzten Kundenprojekt zeigt, wie durch enge Zusammenarbeit zwischen lokalem Vertrieb, zentralem Engineering und Kundenteam eine belastbare Partnerschaft entstehen kann – mit klar verteilten Rollen, definierten Prozessen und einem technischen Zielbild, das von beiden Seiten getragen wird.
Welche Besonderheiten und Herausforderungen mussten berücksichtigt werden?
Aus technischer Sicht nennt Benjamin Ehrenfeld, Solution Manager und Projektleiter im Team, die Kombination aus Umrichter, Motor und Energiespeicher als technische Kernherausforderung. Das System sollte nicht nur performant sein, sondern auch robust gegenüber Netzinstabilitäten, extremen Umgebungstemperaturen und eingeschränktem Wartungszugang – typische Anforderungen im indischen Markt.
Um diese Anforderungen zu erfüllen, wurde beispielsweise das Pitch-System mit unserem bewährten Umrichter PitchOne ausgestattet und bezugnehmend auf die hohen Umgebungstemperaturen hinsichtlich seiner “Hot-Climate-Anwendung“ angepasst. Des Weiteren wurde das Engineering-Tooling so vorbereitet, dass lokale Techniker:innen später Änderungen selbstständig umsetzen können.
Selbst die in Indien typische Netzschwankungen können dank einer weiten HVRT-Toleranz mit 140 % UN und einer hohen Betriebsspannung für den Motor auch bei LVRT-Lastfällen ausgeglichen werden.
Neben den oben genannten technischen Hürden war das Projekt stark durch politisch-wirtschaftliche Rahmenbedingungen geprägt. Die indische Regierung verfolgt mit Nachdruck das Ziel, mehr Autarkie bei Schlüsseltechnologien zu erreichen. So gelten seit dem 31. Juli 2025 neue Vorgaben, die besagen, dass Hersteller von Windturbinen Schlüsselkomponenten (z. B. Rotorblätter, Gondeln, Türme, Getriebe, Generatoren, Speziallager) von inländischen bzw. genehmigten Zulieferern beziehen müssen. Zusätzlich bekräftigte der Minister for New and Renewable Energy, Consumer Affairs, Food & Public Distribution, Pralhad Joshi, auf der Messe Windergy 2025 diesen Ansatz und fordert die Windindustrie auf, den Anteil lokaler Inhalte bis 2030 von 64 % auf 85 % zu erhöhen.
Für KEBA bedeutete das: maximale Transparenz in der Lieferkette, modularisierte Systemarchitektur, klare Schnittstellendefinitionen und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Frank Stege, Head of Wind Energy bei KEBA, hebt hervor: „Es war entscheidend, dass wir nicht als Systemanbieter auftreten, der alles vorgibt, sondern als Partner, der den Kunden in die Lage versetzt, das System selbstständig zu betreiben und weiterzuentwickeln.“
Wie wird sichergestellt, dass der Aufbau in Indien funktioniert?
Nach dem Aufbau des funktionierenden Prototyps in Unna (Deutschland) lag der Fokus auf der Übertragbarkeit. Dazu wurde ein strukturierter Rollout-Plan erstellt. Dieser beinhaltet:
- detaillierte Dokumentation aller Arbeitsschritte und Systemkomponenten
- Train-the-Trainer-Workshops für Mitarbeitende auf Kundenseite
- Testumgebungen mit Fehlersimulationen, um reale Szenarien vorwegzunehmen
- digitale Support-Tools, die beim Troubleshooting vor Ort unterstützen
Besonders wichtig war laut Frank Stege die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team: Mechanik, Elektronik, Softwareentwicklung und Projektleitung arbeiteten eng zusammen. Dieses Setup ermöglichte es, Herausforderungen wie Lieferengpässe oder Kommunikationslücken mit dem Kunden effizient zu lösen.
Ziel war es, eine Lösung zu erarbeiten, die funktional äquivalent oder überlegen zur bisherigen ist, dabei aber auf modernen Komponenten basiert und eine lokale Integration und Fertigung in Indien ermöglicht.
Welche Bedeutung hat das Projekt für KEBA und den Markt?
KEBA entwickelt und fertigt seit Jahrzehnten Lösungen für indische OEMs im Bereich der Windenergie und wird so die Erfolgsgeschichte weiterschreiben. Das Projekt "Made in India” ist somit mehr als ein Einzelauftrag – es ist ein strategisches Pilotprojekt mit hoher Signalwirkung und unterstützt indische Partner dabei, ihre lokalen Ziele zu erreichen.
„Die Nachfrage nach lokal produzierbaren, wartungsarmen Pitch-Systemen steigt – insbesondere in Schwellenländern“, erklärt Daniel Jotzo, Team Lead Solution Management.
Die mit diesem Kunden gemeinsam entwickelte Lösung lässt sich künftig auch für andere OEMs adaptieren, die ähnliche Anforderungen haben. Zudem zeigt das Projekt, dass KEBA in der Lage ist, Systemlösungen entlang der gesamten Engineering-Kette zu liefern.
Fazit
„Local for Local" mit Fokus ”Made in India” ist ein Lehrbeispiel für moderne Systempartnerschaft im globalen Energiemarkt. Es zeigt, wie ein technisches System so konzipiert werden kann, dass es lokale Produktionsziele erfüllt, politische Anforderungen berücksichtigt und gleichzeitig technologisch führend bleibt. Drei Experten, ein Ziel – eine Lösung mit Signalwirkung für den internationalen Ausbau von Windenergietechnologie.